Mittwoch, 30. Oktober 2013

Keine Ahnung vom Bullen? Dann steig mal durchs Fenster ...


Hallo ihr Lieben,

es ist wieder soweit. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht bzw. einen Blick in mein Werk über Komik geworfen. Dabei habe ich festgestellt, dass es von Vorteil ist, etwas zu wissen. Das ist nicht nur im täglichen Leben so, sondern auch, wenn man im Feld der Komik herumspaziert. Klar, wir lachen auch gerne, wenn wir überrascht werden. Ein Beispiel: Wenn ich penibel mit Rückspiegelblick und zusätzlichem Versuch einer 180-Grad-Drehung meines Kopfes die Möglichkeiten abschätze, heile rückwärts aus der Parklücke zu kommen, nur um dann vorwärts gegen die Wand zu fahren, weil ich mal wieder vergessen habe, den Rückwärtsgang einzulegen, so sind wir alle überrascht und lachen (naja, ich vielleicht weniger;)).

Doch wird auch gerne gelacht, wenn der Betrachter oder Leser vorher schon über Infos verfügt, über die unser komischer Held gerne verfügen würde, es aber nicht tut. Eine wirkliche Überraschung ist dann für den Rezipienten (denjenigen, der die komische Situation betrachtet) nicht mehr gegeben, dafür kann er sich vorher schon die Hände reiben, wenn er sieht, dass unser ahnungsloser Held genau den Weg entlangläuft, an dessen Ende schon der Bulle wartet (ich meine das Tier), um ihn auf die Hörner zu nehmen. Hoffentlich trägt unser komischer Held keinen allzu großen Schaden davon, sonst bekommen wir eventuell Mitleid (siehe meinen Beitrag v. 18.10.2013).

Ein schönes Beispiel für Wissensvorsprünge gibt es in dem Kapitel „Eine Tante auf Besuch“ (S. 305-315) aus dem dritten Buch der Knopp-Trilogie von Wilhelm Busch. In diesem Kapitel macht sich der in seinem pubertierenden Liebesrausch stehende Jüngling Mickefett des Nachts auf zu Julchens Fenster. Julchen ist die gleich drei jungen Männern Kopf-verdrehende Tochter unseres Helden Knopp. Mickefett sucht also des Nachts das Fenster von Julchens Zimmer auf, jedoch nicht etwa, um dort seine Liebeslieder zu trällern. Er geht gleich aufs Ganze und klettert durchs geöffnete Fenster. Und jetzt kommt uns unser Wissensvorsprung zugute. Denn wir wissen, dass in dieser Nacht eben nicht Julchen in ihrem Zimmer weilt, sondern deren ältliche Tante (Julchen weiß das übrigens auch und freut sich darüber mindestens genauso wie wir – so sind sie halt, die selbstbewussten jungen Mädels;)). Und mit dem Einstieg Mickefetts durchs Fenster beginnen wir mit dem Händereiben und Grinsen (hoffe ich). Denn wir wissen: das wird anders enden als Mickefett es sich in seinen schönsten Träumen ausgemalt hat. Unser Grinsen gewinnt an Ausdehnung (und die kribbelige Spannung steigt), wenn es unter der nächsten Zeichnung heißt: „Und er küsst die zarte Hand, / Die er da im Dunkeln fand.“
 
 S. 311
Und wenn im nächsten Bild Mickefett stürmisch die Tante erobert, kann selbst der Erzähler nicht mehr an sich halten und ruft „Mickefett! Das gibt Malheur, / Denn die Tante liebt nicht mehr! –“.
 
 S. 312

Erst die Alarm schlagende Tante hebt Mickefett auf unseren Wissensstand – leider etwas zu spät, denn schon kommt Familie Knopp angerast und nimmt teil an einer herrlichen Rauferei – außer Julchen, die steht im Türrahmen und grinst sich einen.  
 
 S. 314
 
Im Gegensatz zum Verblüffung generierenden Umschlag wird in diesem Fall Heiterkeit durch die Spannung aufbauende Vorinformation erzeugt. Und wenn unser Mehrwissen, das in uns eine Erwartungshaltung aufbaut, dadurch bestätigt wird, dass der Bulle jetzt mit neuem Kopfschmuck (unserem Helden) durch die Gegend rennt, dann freuen wir uns halt einfach, dass wir mal wieder Recht behalten haben und schlau sind. Wir wären schließlich nicht den Weg weiter gewandert ;).

Ich wünsche euch, dass ihr viele komische Helden entwickelt, die uns mal überraschen, mal unsere Erwartungshaltung bestätigen und uns immer Vergnügen bereiten. Und denjenigen, die keine Helden entwerfen wollen, wünsche ich viel Genuss, wenn ihnen komische Situationen im Fernsehen, in Büchern, im Internet, im Radio, im Leben – einfach überall – begegnen. Vielleicht könnt ihr sie dann ja dem Überraschungs- oder dem Hab-ich-mir-doch-gleich-gedacht-Effekt zuordnen.

In diesem Sinne – passt auf euch auf und denkt an den Bullen!

Viele liebe Grüße

eure Pebby Art

 

Busch, Wilhelm: Sämtliche Werke II. Was beliebt ist auch erlaubt. Hrsg. Von Rolf Hochhuth. München: Bertelsmann 1982.

Freitag, 18. Oktober 2013

Das ist nicht komisch! – Wie Jack mich mit der Titanic unter Wasser zieht

 
Hallo ihr Lieben,
 
noch sind Herbstferien, aber es schadet ja nix, sich mit ein paar Dingen auseinanderzusetzen. Und da es immer noch etwas zum Thema Komik zu sagen gibt, geht es heute mal wieder um selbige – auch wenn die Überschrift das Gegenteil behauptet ;). Diesmal steht die Bedingung der Folgenlosigkeit und der Distanz für die Existenz von Komik auf dem Programm. Das hört sich jetzt ziemlich trocken an, liegt aber nicht an mir. Ich muss das hier einfach aufgreifen, weil so viele komische Theoretiker bzw. diese Begriffe auf ihr Papier gebracht haben, sie also für die herausragenden Bedingungen für die Existenz von Komik halten.
Heißt also: keine Distanz, keine Komik, denn Herr Sauerbrot steht uns nicht wirklich nahe (siehe Blogeintrag vom 01.10.2013). Täte er das und würde dann tot umfallen – oje, wir würden Rotz und Wasser heulen, anstatt zu kichern.
Ich habe aber noch nie gehört, dass jemand um Herrn Sauerbrot auch nur eine (Heul-) Träne vergossen hätte. Das Leben des Herrn Sauerbrot ist uns schnurzpiepegal. Denn da ist sie: die Distanz.
Und wer hat sie erschaffen? In diesem Falle Wilhelm Busch mit Hilfe seines Erzählers und seines Zeichenstils. Der Erzähler steht bei Wilhelm Busch an prominenter Stelle. Er zeigt uns quasi, was da vorne auf der Bühne so passiert. Und indem er sich selbst einblendet, stellt er sich zwischen uns und dem Geschehen und verschafft uns die nötige Distanz.
Doch auch Sauerbrot selbst verspielt mit seinem Freudentanz über den Tod seiner Frau alle Karten des Mitleidens. Sein Verhalten ist doch eher etwas befremdlich – und distanziert uns. So einem schrägen Typen wollen wir lieber nicht zu nahe kommen. Wer weiß, was der mit uns nächstes Mal im Schilde führt?  
Die cartoonhafte, schematische Zeichenweise Wilhelm Buschs tut ihr Übriges und setzt nicht gerade auf Einfühlungsvermögen.
 
Doch ist daraus zu schließen, dass Komik ausschließlich mit Hilfe von Distanzierungsmaßnahmen funktioniert? Was ist dann mit den romantischen Komödien, bei denen wir uns (ich meine hier eher uns Frauen) gleichzeitig vor Rührung die Augen ausheulen und Lachtränen produzieren? Hier harmonieren Komik und Einfühlungsvermögen miteinander. Doch worüber lachen wir denn da? Gewiss nicht über den Tod unseres Lieblingshelden, sondern über Missgeschicke, plötzliche Wendungen (Umschläge J - siehe Post vom 25.09.2013), die unseren Helden passieren, die sie aber nicht tödlich getroffen umhauen. Denn dann wären wir geschockt. Unsere Helden und Heldinnen stehen uns einfach zu nahe.
 
Daraus folgt, dass die Nähe bzw. Distanz zu einer Figur ausschlaggebend darüber ist, wie die Komik angesetzt werden darf, damit sie wirkt. Hier kommt die Folgenlosigkeit ins Spiel. Natürlich ist für uns alles folgenlos, was wir uns im Fernsehen anschauen oder aus einem Buch herauslesen – theoretisch. Doch wenn wir uns einfühlen, fühlt es sich eben nicht folgenlos an. Wir fühlen uns involviert – weswegen steigt sonst unser Papiertaschentuchverbrauch ins Unermessliche, wenn Jack mal wieder mit der Titanic untergeht. Und ja, Jack stirbt, das wissen wir alle. Und das ist dann auch gar nicht komisch. Im Gegenteil, die Szene ist zum Heu... – wo ist mein Taschentuch?? Und doch gibt es vorher Szenen, über die ich lache. Wenn Rose und Jack zum Beispiel ihren Verfolgern entkommen und – Überraschung – doch nicht mehr im Auto stecken (die sind halt schnell ;)). James Cameron schafft es, mich ganz auf Roses und Jacks Seite zu ziehen, mich in sie hineinzufühlen. Da lache ich doch gerne über ihre Gegner.
 
Denn es gibt eben unterschiedliche Arten von Komik und somit auch des Lachens. Herrn Sauerbrot, den kann ich, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen, verlachen, wenn dieser sich vor Schreck erstarrt tot umfallen lässt. Doch bei meinen Lieblingshelden, die mir nicht nur sympathisch dargeboten werden, sondern in die ich mich bestenfalls empathisch hineinversetze, denen dürfen nur kleine, folgenlose Missgeschicke passieren, wenn ich darüber lachen soll. Natürlich dürfen sie auch leiden. Und ich leide dann mit ihnen. Das kann auch ein unvergessliches Erlebnis sein. Nur sind wir hier ja beim Thema Komik und die funktioniert nur, wenn entweder die Distanz zur Figur groß genug ist, oder aber die Folge der komischen Situation, des Missgeschicks nicht schwerwiegend ist, sodass mein Held bestenfalls selbst darüber lachen kann. Wie groß nun die Distanz sein muss, damit man lachen kann, ist natürlich individuell verschieden.
 
 
Und mit einem individuellen Gruß an alle möchte ich mich für heute verabschieden. Schreibt gerne einen Kommentar oder schickt mir eine Mail. Auch über Follower auf twitter oder Google+ und Fans auf Facebook freue ich mich!
 
Liebe Grüße – bis zum nächsten Mal
Pebby

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Selbst schuld - keine Gnade für den in der Regentonne

Hallo ihr Lieben,

Die Weiterführung des Umschlags vom letzten Beitrag führt uns heute in die Regentonne. Es geht um gesellschaftliche Moralvorstellungen und darum, was passiert, wenn wir uns nicht dran halten.

Wir lachen, um zu strafen – das zumindest behauptet Friedrich Georg Jünger. Das hört sich nicht gerade sympathisch an – wo ich doch immer dachte, lachen sei positiv besetzt. Aber nein, wenn ich genau hinschaue, dann sehe ich die Schadenfrohen da hinten in der Ecke sitzen und sich eins ins Fäustchen lachen – und wenn sie gemein sind, sogar in die ganze große Faust.

Denn ganz so Unrecht hat Jünger nicht. Lachen kann sehr wohl verletzen, dann nämlich, wenn ihr über meine Dummheit mit der Kellertreppe lacht (Achtung: die Kellertreppenstory war im letzten Beitrag vom 25. Sept.), bei der ich mich eh schon verletzt habe, und jetzt straft ihr mich auch noch mit Gelächter. Wofür eigentlich?

Jünger sagt, für die Normverletzung. Darauf gebe es nun mal eine Replik, also eine Antwort. Nun habe ich bei der Kellertreppe ja lediglich versehentlich die Norm des richtigen Weges nicht eingehalten, indem ich das Schlafzimmer gedanklich hinter die Kellertür gesetzt habe. Ich hoffe, dass euer Lachen daher doch aufgrund des unerwarteten Umschlages und der instabilen Struktur entstanden ist und nicht, weil ihr mir den Fall die Kellertreppe hinunter gegönnt habt ;).

In der Knopp-Trilogie jedoch gibt es einige Beispiele, die sehr schön Jüngers Theorie von Normverletzung und Replik belegen. Eine meiner Lieblingsszenen ist die mit Herrn Sauerbrot, der sich gerade unbändig darüber freut, dass seine Frau gestorben ist. Dort heißt es nämlich: „’Heißa!’ rufet Sauerbrot. / ‚Heißa! Meine Frau ist tot!’“ (S. 200). Dabei tanzt er auch noch federnd auf und ab und klatscht in die Hände. Na, Herr Sauerbrot – wenn das mal nicht eine eindeutige Normverletzung ist. So etwas gehört sich nicht ;).
Busch, W., S. 200
 
Und weil sich so etwas nicht gehört, lässt die Replik auch nicht lange auf sich warten. Sie erscheint in Person von Frau Sauerbrot, die wohl nicht so tot war, wie Sauerbrot glaubte. Dazu fällt Sauerbrot nichts anderes ein, als selbst tot umzufallen. „Starr vor Schreck wird Sauerbrot, / Und nun ist er selber tot. –“ (S. 204) Das hat er jetzt davon.

Wobei auch diese Szene mit vom Umschlag lebt, denn nicht nur Sauerbrot, auch Knopp und wir als Zuschauer und Leser sind überrascht und verblüfft über das Aufkreuzen von Frau Sauerbrot, die uns doch als komplett tot angekündigt wurde.

Eine komische Situation kann demnach dadurch hervorgerufen werden, dass gesellschaftliche Regeln und Moralvorstellungen zunächst gebrochen und durch eine Erwiderung anschließend wieder hergestellt werden. Nach dem Motto: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“, erfreut es uns, wenn alles wieder seine Ordnung gefunden hat.

Wenn mich also jemand in den Pool schubst, dann hoffe ich doch sehr, dass ihr lacht, wenn mein großer Bruder auftaucht und den Schubser in eine mit schmutzigem Wasser gefüllte Regentonne tunkt. Denn damit hat mein Bruder die Norm wieder hergestellt und wir können alle zufrieden sein – außer vielleicht der Getunkte ;).

Ich wünsche euch allen eine schöne Zeit und passt auf, dass ihr keine Normen verletzt – ihr wisst ja, das endet in der Regentonne ;)

Liebe Grüße
Pebby
 

Busch, Wilhelm: Sämtliche Werke II. Was beliebt ist auch erlaubt. Hrsg. Von Rolf Hochhuth. München: Bertelsmann 1982.

Jünger, Friedrich Georg: Über das Komisch. Zürich: Arche 1948.