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Einen inhaltlichen Schnelldurchlauf mit Zeichnungen findet ihr hier.
Ein zerplatzter Urlaubstraum
Es war zwei
Monate vor den großen Ferien, als Klara nach Klausmüller trat. Der flog durch
die Luft, streifte mit seiner bunten Schmetterlingshaarspange Klaras Papa am
Oberarm, setzte zur Landung an und rutschte über den Flurfußboden.
Klara tat sofort leid, was sie getan hatte. Warum trat
sie gegen ihren Lieblings-Stoffesel, wenn sie doch sauer auf Mama und Papa war?
Diese hatten soeben Klaras Traum vom Sommer-Sonnen-Strandurlaub vernichtet.
Wütend schaute Klara zu ihrem Papa. Auch seine Stimmung hatte sich dank der
roten Streifen auf seinem Arm geändert. Er mutierte gerade zu einem fluchenden
Pantoffelhüpfer. Selbst schuld, dachte Klara, schnappte Klausmüller und lief in
ihr Zimmer.
Ursprünglich schuld an Klausmüllers rasantem Flug
durch den Flur war Großtante Agnes. Diese hatte nämlich einen Brief
geschrieben. An Klaras Eltern. Und dieser Brief nun hatte Mama und Papa dazu
gebracht, Klaras ersehntes Urlaubs-Reiseziel Mallorca links liegen zu lassen,
um stattdessen zu Tante Agnes zu reisen. Wenn Klara daran dachte, wie lange sie
gebraucht hatte, um Mama und Papa dazu zu überreden, einem Mallorca-Urlaub
zuzustimmen, wurde ihr richtig schlecht vor Wut und Enttäuschung.
„Klausmüller“, schluchzte Klara, „wir werden zu Tante Agnes fahren.“
Sie wischte sich
eine Träne aus dem Gesicht und blickte Klausmüller ernst und tief in die Augen.
„Tante Agnes – die kenne ich gar nicht. Das ist eine ganz blöde Tante von Mama.
Die hat noch nicht mal einen Swimmingpool und ein Meer hat die auch nicht, und
Sonne, Sonne scheint da nie!“
Klara drückte
ihren kleinen grau-braunen Esel ganz fest an sich. Es war jetzt etwas über zwei
Jahre her, da hatte sie ihn zu ihrem neunten Geburtstag bekommen. Damals war
sie zunächst enttäuscht gewesen. Sie hatte sich ein Pferd gewünscht und zwar
ein echtes und keinen Esel. Statt eines erträumten Schimmels mit glänzender
Mähne blickten ihr zwei dunkle Knopfaugen aus einem zotteligen Gesicht
entgegen. Die Mähne war struppig und kurz und ebenfalls grau. Klaras
Lieblingsfarben waren Pink und Lila – am liebsten in Kombination mit Schwarz.
Das hatten ihre Eltern wohl irgendwie vergessen und auch, dass ihre
Stofftierphase schon vorbei war.
Dass sie ein
echtes Pferd bekäme, daran hatte Klara sowieso schon nicht mehr geglaubt. Aber
gehofft hatte sie es, ganz tief im Innern, so tief, dass man es sich selbst
kaum zu Ende zu denken getraut. Aber war ja klar, daraus wurde nichts.
Also teilte Klara ihr Bett von ihrem neunten Geburtstag an mit einem
kleinen, struppigen Esel. Und ohne dass sie es zunächst wollte, war er doch zu
ihrem besten Tröster geworden. Er stand ihr stets bei, verriet keine
Geheimnisse und mit seinem wuscheligen Fell konnte man prima Tränen abwischen.
Die bunte Haarnadel, die er trug, hatte Klara ihm aus ihrem Bestand gespendet,
damit er etwas Farbe bekam.
Der Name Klausmüller ist vielleicht etwas
gewöhnungsbedürftig, aber erklärbar. Denn der Esel trug an Klaras Geburtstag
ein Pappschild um den Hals. Auf diesem Schild hatte sich die Ursprungsfamilie
des kleinen Esels verewigt – die Klaus Müller-Spielwaren GmbH. In dem Geschäft,
in dem Klaras Mama ihn dann erstanden hatte, hatte man ihm zusätzlich ein
Preisschild dorthin geklebt, direkt auf die „Spielwaren GmbH“. Klaras Mama hatte
das Preisschild abgerissen und mit ihm zusammen den Teil des darunter stehenden
Schriftzugs.
Als Mama dann Klara fragte, wie Klaras Stoffeselchen
denn heißen solle, las Klara einfach das ab, was auf dem Schild übrig geblieben
war: „Klaus-Müller.“ Mama und Papa hielten das für einen guten Scherz und
lachten erst mal, bevor sie dann protestierten. Doch Klara blieb dabei: Der
Esel hieß von da an Klausmüller – und zwar als ein Name geschrieben, denn Esel
haben keine Nachnamen, befand Klara. Klausmüller war Klausmüller und Mama und
Papa hatten sich damit abzufinden.
Doch jetzt hatte Klara sich damit abzufinden, dass das
Urlaubsziel Tante Agnes hieß. Denn Mama und Papa ließen sich nicht mehr
umstimmen, benötigte Tante Agnes doch dringend ihre Hilfe für Renovierungs- und
Umbauarbeiten. Schließlich war das Anwesen Familienbesitz. Ursprünglich hatte
es nämlich mal den Großeltern von Klaras Mama gehört. Zwar konnte Klara an
einer Großtante, die sie nicht kannte, und an einem Anwesen, das sie noch nie
gesehen hatte, nichts Familiäres finden, doch wurden Klaras Argumente mit einem
simplen „Wir fahren!“ abgeschmettert.
Und so fuhren sie los. Zu Tante Agnes. Trotz
mangelnder Sonne, fehlendem Meer und nicht vorhandenem Pool. Und es nutzte
nichts, wenn Klara sagte, dass sie ihr Mallorca versprochen hätten – sie fuhren
hin – zu Tante Agnes. Kotz!
Hätte Klara allerdings geahnt, was sie bei Tante Agnes
alles erwartet, hätte sie ihren Schmollmund eingefahren und sich nervös auf die
Lippen gebissen. Doch so saß sie brummig im Auto und quetschte Klausmüller an
sich.
Erst als sie das Anwesen von Tante Agnes erreichten, entfuhr
ihren Lippen ein „Wow!“ Die Hofeinfahrt: endlos lang! Eine Allee mit tausend
Bäumen, Sträuchern und Blumen! Als Klara die Mauern des alten Hauses erblickte,
richtete sie sich auf und ließ auch Klausmüller zum Fenster hinausschauen. Ein
Schloss! Ein Märchenschloss!, durchfuhr es Klara. Gleich würde ein Prinz die
vielen Stufen zu ihr herabeilen! Doch der Prinz hatte wohl seinen Einsatz
verpasst. Zumindest kam er nicht.
Stattdessen kam Tante Agnes. Kaum majestätisch, dafür
aber umso kugeliger trippelte sie die Eingangsstufen herunter. Ein kleiner Hund
klemmte ihr zwischen Arm und Brust. Er nickte im Takt ihrer Schritte mit seinem
Kopf. Tante Agnes, die ja eigentlich Klaras Großtante war, watschelte ihnen, so
schnell wie es ihre hochhackigen Schuhe erlaubten, entgegen. Kurz vor ihrem
Ziel ließ sie ihren Wackeldackel, der in Wirklichkeit ein West Highland White
Terrier war, zu Boden gleiten.
„Die ist ja wohl eher eine Breittante oder Rundtante
als ein Großtante“, flüsterte Klara Klausmüller ins Ohr. Der nickte zustimmend,
auch weil Klara ihren Finger an Klausmüllers Hinterkopf vor und zurück bewegte.
„Komm, Klara, aussteigen!“, hörte Klara die mahnenden Worte ihrer Mama
und bemerkte erst jetzt, dass ihre Eltern bereits vor dem Auto standen und die
stürmische Begrüßung von Tante Agnes über sich ergehen ließen. Klara seufzte,
öffnete die Tür und steckte, noch bevor sie die Chance hatte, sich aufrecht
hinzustellen, bereits mit ihrer Nase zwischen Tante Agnes‘ dicken Brüsten fest,
denn Tante Agnes meinte wohl, Klara besonders herzhaft quetschen zu müssen.
„Mein Mädchen!“, rief Tante Agnes, „wie schön,
dich kennenzulernen!“
Irgendwie
glaubte Klara ihr das nicht. Ihr Herumgehampel und ihre Begeisterung, das war
doch nicht echt. Oder wollte Klara einfach nicht, dass Tante Agnes sich über
sie freute? Schließlich freute sie sich ja auch nicht auf Tante Agnes. Doch
bevor Klara weiter darüber nachdenken konnte, hatte Tante Agnes sie schon
wieder beiseitegeschoben und widmete sich erneut Klaras Eltern. Ihr leuchtend
rot geschminkter Mund klappte dabei auf und zu und auf und zu und hörte gar
nicht auf, irgendwelche Sätze und Ausrufe zu formen.
Klara betrachtete den Hund, der vom Boden aus seinen Kommentar dazu gab
und kam zu dem Schluss, dass er aussah wie Tante Agnes in klein. Okay, ihm
fehlten die dauergewellten Haare und der Busen und, überhaupt, war er ein
Junge, wie Klara später erfuhr, doch war er ebenso massig und bewegte sich auf
zu kurzen Beinen mit zu kleinen Pfoten.
„Na, mein Precious-Baby, was hat denn mein Precious-Baby?“, wandte sich
Tante Agnes kurz an ihren Hund, um gleich darauf wieder Mama und Papa
vollzutexten. Den Namen des Hundes sprach sie folgendermaßen aus: Pri-schi-aus,
wobei sie das erste I schön in die Länge zog.
„Na, ist sie nicht furchtbar?“, flüsterte Klara Klausmüller ins Ohr und
er nickte heftig.
„Komm, wir schauen uns mal das Schloss an“, schlug
Klara vor.
Aufruhr
in der Ritterrüstung
Das Anwesen und
das Haus wirkten so groß und majestätisch – das musste ein Schloss sein. Auch
wenn hier bestimmt keine tollen märchenprinzessinnenhaften Bälle stattfanden
und das Personal fehlte und Tante Agnes höchstens eine fiese Königin abgeben
würde, so konnte Klara sich doch vorstellen, hier selbst eine Prinzessin zu
sein.
Klara schritt mit Klausmüller würdevoll die vielen Stufen zum Eingang
hinauf, während die Erwachsenen weiterquatschten, ohne etwas zu merken.
Sie traten durch die Eingangstür, Klausmüller und
Klara, und fanden sich in einem hellen Flur wieder, an dessen Wände große,
gerahmte Bilder hingen. Und das waren nicht nur drei oder vier Bilder, nein,
der Gang und mit ihm die Bilderreihen schienen bis ins Unendliche zu gehen. Unterbrochen
wurden die Reihen nur alle paar Meter von weiteren Türen. Auf den Bildern war
jeweils eine gemalte Person zu sehen. Klara schritt den Flur entlang. Die Leute
auf den Gemälden starrten auf sie herab. Hoffentlich bewegte nicht gleich einer
von denen seine Augen.
Klaras Finger wuselten in Klausmüllers Mähne herum,
sie drückte ihn fest an sich. Das Sonnenlicht, das noch hell den
Eingangsbereich durchflutet hatte, verlor sich schnell in den Tiefen des
Flures. Dann machte der Gang einen Bogen und der Eingangsbereich war nicht mehr
zu sehen. Dafür entdeckte Klara jetzt kleine Nischen mit Kerzenhaltern und
Kerzen. Überall tanzten kleine Flammen im düsteren Flur. Alles Helle, Farbige
war geschluckt von einer kalten Dunkelheit, in der allein das Licht der Kerzen
Orientierung bot. Klara schaute sich um. Die Kerzenlichter flackerten, als
huschte jemand an ihnen vorbei und verursachte einen Luftzug. War sie das
selbst? Oder folgte ihr jemand? Quatsch! Sie glaubte doch nicht an Gespenster!
Doch als plötzlich ein Schatten an der Wand entlangtanzte, stockte ihr der
Atem. Klara flüchtete in eine Nische und horchte. Nichts. Vorsichtig lugte sie
um die Ecke. Weiterhin nichts. Dann wagte sie sich aus ihrer Nische hervor und
atmete auf. Es war ihr eigener Schatten! Sie war vor ihrem eigenen Schatten
geflohen! Erleichtert drückte sie Klausmüller einen Kuss aufs Maul.
Sie ging weiter. Eine Gänsehaut kroch Klaras Arme
entlang. Warum drehte sie nicht um und lief wieder hinaus? Sie beschloss, genau
das zu tun, doch ihre Beine trugen sie immer tiefer in dieses unendliche, kalte
Loch hinein. Und plötzlich war da diese Gestalt, die unmöglich ihr Schatten
sein konnte. Klara biss Klausmüller ins Ohr und fand sich abermals in einer
Nische wieder. Was sollte sie tun, wenn die Gestalt sie entdeckte? Schreien?
Rennen? Klara hielt den Atem an und wartete. Sekunden verstrichen, Minuten –
nichts. Kein Geräusch, keine Bewegung. Klara schob sich vor. Zentimeter um
Zentimeter … Dann erblickte sie sie. Sie stand noch genau da, wo sie eben
gestanden hatte. Klara haute sich mit der Hand vor die Stirn. Mannomann! Eine
Ritterrüstung! Stumm und absolut ungefährlich. ‚Ich bin aber auch ein
Angsthase‘, dachte Klara. Gut, dass das keiner mitbekommen hatte!
Klara näherte sich dem Ritter, bis sie ganz dicht vor
ihm stand. Dann stupste sie ihn an. Und weil sie so erleichtert war, klappte
sie ihm auch noch das Visier hoch und beging dann den Fehler, den armen
Klausmüller hineinzustopfen. Welches Gespenst sie dazu angetrieben hatte,
konnte sie sich hinterher auch nicht mehr erklären. Sie wusste nur, dass sie es
äußerst komisch fand, wie Klausmüller aus dem Rittergesicht zu ihr
herabstarrte. Wenn Klausmüller reden könnte, hätte er ihr wahrscheinlich
gesagt, dass das nicht die feine Art ist, mit seinem Stoffesel umzugehen, und
dass außerdem das Visier ganz schön die kaum vorhandene Mähnenpracht
niederdrückt. Doch so saß er einfach still und reglos als des Ritters Gesicht
in der Rüstung fest, während Klara begann, glucksende Laute von sich zu geben,
weil Klausmüller als Ritter so witzig aussah.
Ihre Ausgelassenheit führte nun dazu, dass sie nicht mitbekam, wie
tatsächlich drei dunkle Gestalten den Flur betraten. Zwei von ihnen waren
Hunde, ziemlich klein und mit Schwänzen, die nach vorne zeigten, weil sie sie
ängstlich zwischen die Hinterläufe klemmten. Diese kleinen Schissbuxen
suchten nun sofort die Nische auf, die Klara eben verlassen hatte. Die dritte
Gestalt jedoch war Egon, ein Freund von Tante Agnes, der hier, auf dem Anwesen
von Tante Agnes, einen Hundefriseursalon betrieb und im Gegensatz zu seinen
beiden Hunden ziemlich groß war. Zu allem Überfluss kam Egon auch noch
rückwärts aus einer Tür heraus. So bemerkte weder Klara ihn noch er sie. Das
änderte sich, als Egon die Tür abschloss und sich umdrehte. Da fuhr auch Klara
herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie sich gegenseitig an. Klara
fand als erste ihre Stimme wieder. Sie schrie und das ziemlich laut und
schrill. Da machte Egon einen Schritt auf sie zu, was Klara veranlasste, noch
lauter zu schreien. Außerdem wich sie nach hinten aus. Und das bewirkte nun
dreierlei:
Zum Ersten polterte Klara gegen die Ritterrüstung, sodass das Visier
weiter herunterrutschte und Klausmüller das Maul einklemmte, was jedoch
verhinderte, dass er ganz hinab in den Stiefel der Rüstung rutschte.
Zum Zweiten ertrug Egon die Lautstärke und die hohe Klangqualität von
Klaras Stimme nicht, sodass er sich zunächst die Ohren zuhielt, dann aber
versuchte, Klara den Mund zuzuhalten.
Zum Dritten war Klaras Schrei so laut, dass er durch
den langen Flur bis nach draußen getragen wurde. Sofort sprinteten Mama und
Papa die Eingangsstufen hinauf und auch Tante Agnes und Precious verliehen
ihren Körpermassen ein beachtliches Tempo.
Als sie bei Klara ankamen, hatte sich die kleine Szenerie bereits
weiterentwickelt:
Klara hatte
zugebissen. Egons Hand zeigte nun Klaras Zahnreihe. Das war zu viel für Egon:
Er kippte um. In diesem Moment tauchten Mama, Papa und Tante Agnes mit Precious
auf.
„Oh mein Gott! Egon!“ Tante Agnes stürzte auf den am Boden Liegenden zu.
Mama nahm Klara
in den Arm und Papa stand etwas ratlos im dunklen, von Kerzenlicht
durchflackerten Flur herum.
„Was ist passiert, mein Schatz?“, fragte Mama.
Klara wollte
antworten, doch Egon war schneller.
„Sie hat mich gebissen!“, verkürzte er das, was geschehen war, auf die
letzte Kleinigkeit.
Dabei hielt er
seine rechte Hand hoch, sodass alle recht deutlich den Verlauf von Klaras
Zahnreihe nachvollziehen konnten. Sie war eindeutig ein Kandidat für eine
Zahnspange.
Das Abbild von
Klaras Zähnen auf Egons Handfläche war wiederum Papa sehr unangenehm, weniger
wegen deren Verlauf als vielmehr wegen ihres bloßen Daseins. Denn Papa war
stets darauf bedacht, was andere Leute von ihm dachten. Und was sollte der
arme, auf dem Boden liegende Mann nun von ihm halten, da er von Papas Tochter
dermaßen zugerichtet worden war? Streng wandte sich Papa daher an Klara, indem
er Klaras Namen auf kleinen Spucketröpfchen in ihre Richtung schoss.
Und weil er so
schnell nicht wusste, was er noch sagen sollte, rief er gleich noch einmal:
„Klara!“
„Was sollte das denn?“, fragte Mama.
„Ich habe nur …“ sagte Klara.
„Keine Ausreden! Entschuldige dich bitte! Aber sofort“, unterbrach Papa
sie.
Klara senkte den Kopf: „’tschuldigung.“
„So etwas kommt mir nicht noch einmal vor.“ Das war
Mama, etwas leiser, in Richtung Klaras Ohr.
Dann halfen Mama und Papa Tante Agnes dabei, Egon wieder auf die Füße zu
stellen. Das erwies sich aufgrund der Länge von Egons Füßen und Beinen als gar
nicht so einfach und benötigte ihre volle Konzentration. Was Klara zu ihrer
Verteidigung zu sagen hatte, interessierte irgendwie keinen mehr.
Blöde Erwachsene, dachte Klara und wollte sich gerade davonschleichen,
als sie bemerkte, dass jemand fehlte: Klausmüller.
Wo war er
geblieben? Ratlos schaute Klara sich um. Da bemerkte sie Precious, der die
eiserne Rüstung anknurrte.
Oh Schreck!
Klausmüller saß ja noch im Ritter fest. Klara stockte der Atem, als sie das
Visier der Rüstung erblickte. Wo war des Ritters Eselsgesicht? Klara sprang
nach vorne und Precious zur Seite. Wo war Klausmüller? War er etwa abgerutscht
und hockte nun im Fuß des Ritters? Da bemerkte Klara, dass dem Ritter eine
samtweiche Eselschnute durch das Visier quoll.
Oh je! Armer
Klausmüller. Schnell eilte Klara Klausmüller zu Hilfe und klappte das Visier
hoch. Die Schnauze verschwand und den Ritter durchfuhr ein Poltern von oben nach
unten. Starr vor Schreck blieb Klara stehen. Wie konnte sie nur so doof sein,
das Visier hochzuklappen, ohne dabei Klausmüllers Maul festzuhalten! Jetzt lag
Klausmüller im Fuß des Ritters. Wie sollte sie ihn da jemals wieder
rauskriegen? Klara drehte sich zu den Erwachsenen. Mama und Tante Agnes
bürsteten mit ihren Händen Egons Hose und Hemd ab. Dabei redeten sie
unaufhaltsam. Und Papa stand vor Egon und entschuldigte sich ohne Ende.
„Klausmüller ist im Ritter!“ Klara deutete auf den Ritter.
Die Gespräche
verstummten.
„Wir müssen ihn da rausholen!“ Klara klappte das Visier wieder hoch.
„Nicht berühren!“, rief Tante Agnes. „Die ist
kostbar!“
„Klara!“ Das war Papa. Gesprächstechnisch hatte er
heute nicht so viel auf Lager. Mama hingegen zeigte Verständnis für Klara und
meinte, dass der Stoffesel doch irgendwie zu retten sein müsse. Schließlich
gehöre der Ritter aufs Reittier und nicht das Tier in den Ritter. Dem stimmten
die anderen zu. Und so griff Egon mit seinen langen Armen durch die rüstungsfreie
Stelle am Ritterpo. Doch griffen seine Hände stets ins Leere. Klausmüller blieb
verschollen. Und Tante Agnes wurde ungeduldig. Sie wollte endlich die Torte
essen, die auf der Terrasse schon auf sie wartete. So wurde beschlossen, dass
Egon sich später um die Rettung des Esels kümmern sollte.
Oh Mann! Klara konnte doch nicht den armen Klausmüller in der finsteren
Rüstung zurücklassen! Klara blieb stehen. Doch dann traf sie der Blick von
Mama. Da folgte sie, aber ziemlich langsam –, und als keiner sie mehr
beachtete, kehrte sie um und eilte zu Klausmüller zurück. Hoffentlich würde ihr
Fehlen nicht zu schnell bemerkt werden.
Klara überlegte:
Sollte sie dem Ritter den Fuß abnehmen oder so wie Egon versuchen, über den Po
des Ritters ins Innere zu gelangen? Vorsichtig schob sie ihre Hand am Ende des
Ritterrückens ins Innere. Stück für Stück drückte sie sich weiter vor. Sie
quetschte gerade ihre Achselhöhle an der Ritterhose und fuchtelte mit
gestreckten Fingern im Inneren herum, als es im Ritterfuß zu poltern begann.
Klara riss ihre Hand wieder raus und wich einen Schritt zurück. Der Ritter
wackelte hin und her. Mit angehaltenem Atem starrte Klara auf den Ritter. Gab
es Mäuse in Ritterrüstungen? Oder was war das gerade? Klaras Blick fixierte
noch immer den Fuß des Ritters, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung
oberhalb ihres Kopfes wahrnahm. Sie hob ihren Blick und starrte auf das Visier,
das sich kaum wahrnehmbar zu bewegen schien. Mit angespannten Muskeln machte
Klara einen Schritt nach vorne, bereit, jederzeit zur Seite zu springen und
abzuhauen. Ihre Finger näherten sich dem Visier, das sich tatsächlich immer
wieder millimeterweit auf und ab bewegte. Sie sah, wie ihre Finger zitterten,
als sie das kalte Metall des Visiers berührte. Vorsichtig hob sie es an.
„Ha!“, machte es von innen.
Klara sprang
zurück und das Visier schnappte wieder zu. Dann ein Schrei und ein Poltern –
erst oben, dann beim Po und dann unten im Fußraum. Klaras Augen folgten dem
Gepolter. Jetzt war es still. Jetzt leichtes Scharren.
Und dann: „Mist!“
Das kam aus dem
Fuß. Dort scharrte es jetzt auch wieder. Klara wich noch einen Schritt zurück.
Vorsichtshalber.
„Klausmüller?“ Klaras Stimme zitterte. Sie hockte sich vor den Fuß.
„Wer denn sonst?“, antwortete der Fuß.
Darauf wusste Klara
nichts zu sagen. Seit wann konnte Klausmüller sprechen? Und irgendwie schien er
sich ja auch zu bewegen. Das gab es doch gar nicht. Klara schaute sich um. Die
Kerzen flackerten immer noch gespenstisch. Das hier konnte nicht echt sein. Das
war ein Traum. Oder?
Während Klara
noch vor dem Fuß des Ritters kniete und ihn anstarrte, rappelte der Ritter ein
paar Mal und ließ dann auf Höhe des Gesäßes verlauten, dass man Hilfe benötige.
Klara schaute
hoch und entdeckte Klausmüllers Kopf da, wo der Oberschenkel des Ritters endete
und der Rücken noch nicht begann.
„Klausmüller?“
„Klara?“, äffte die Stimme des Gesäßes Klara nach. Und die Stimme schien
tatsächlich Klaras kleinem Esel zu gehören. Dieser erklärte nun, dass er wenig
Lust habe auf dieses Namensfragespiel, und dass Klara ihm doch gefälligst
einmal hinaushelfen solle. Schließlich sei es ja auch ihre Schuld, dass er
hineingefallen war.
Schnell zog
Klara Klausmüller aus dem Po des Ritters hervor. Doch hielt sie ihn mit einer
Armlänge auf Abstand. Irgendwie war es unheimlich, wenn das eigene Stofftier
mit einem Mal anfing, ein Eigenleben zu führen.
Plötzlich
tauchte Papa auf.
„Spiel Stofftier!“, flüsterte Klara.
„Ich bin Stofftier!“
„Nicht sprechen, nicht bewegen!“
„Klara!“ Das war Papa. „Wo bleibst du denn?“
„Ich komme schon. Ich habe Klausmüller!“, rief Klara und wedelte mit
Klausmüller am ausgestreckten Arm herum
„Lass das! Sonst kotz‘ ich.“
Ups! Erschrocken
zog Klara ihren Arm zurück. Papa hatte Klausmüller zum Glück nicht gehört. Er
fand es toll, dass Klausmüller wieder da war und vor allem, dass die
Ritterrüstung noch stand.
Und so blieb es
ein Geheimnis, dass Klausmüller nun lebendig war. Mama und Papa hätten das eh
nicht verstanden und Tante Agnes und dieser Egon noch viel weniger.
Ende der Leseprobe.
Hier geht's zur Taschenbuchausgabe (7,90 €) und hier zum eBook (2,99 €)
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