"Klausmüller - Ein Esel auf Verbrecherjagd"

Taschenbuch: 7,90 Euro
eBook: 2,99 Euro






Leseprobe: 


Eine seltsame Begegnung



Stoffesel Klausmüller hüpfte über den weichen Waldboden. Er wühlte sich durch Laubhaufen, die der letzte Herbst zurückgelassen hatte. Hin und wieder schielte er zu Klara und Joey, die auf den Pferden Domino und Artistin saßen. Domino und Artistin ignorierte er.
Es war noch kein Jahr her, da war der kleine Stoffesel durch eine Ritterrüstung gerutscht. Das hatte ihn auf unerklärliche Weise zum Leben erweckt. Seitdem sprang er durch die Gegend, liebte Lampenschirme, wenn er auf ihnen schaukelte und Kekse, wenn sie in sein Maul geschoben wurden. Pferde lehnte er ab. Doch leider liebte Klara sie. Und da Klausmüller seine Klara liebte – vielleicht sogar noch mehr als Kekse – musste er sich damit abfinden, dass auch Pferde bei ihren Ausflügen dabei waren.
Und darum eierten jetzt zwei Pferdehinterteile vor Klausmüller her. Besonders das Hinterteil von Domino sah sehr träge aus. Klaras Fersen stupsten immer mal wieder gegen die Seiten des Pferdes, damit das Hin- und Herschwanken des Pferdepos nicht ganz zum Erliegen kam. Domino war nicht immer so lahm gewesen, doch mittlerweile war er ein ziemlich alter Opa, der das Rennen den Jungen überließ und den nichts aus der Ruhe brachte. Sein ehemals schwarzes Maul war weiß gesprenkelt, sein Rücken hing durch und die Unterlippe schwabbelte wabbelig entspannt herum.
Klausmüller hingegen jagte imaginäre Schurken durch Laubhaufen, schlich sich zwischen Bäumen entlang und schlug jeden Hasen in die Flucht. Der Boden war weich und roch gerade jetzt in der Frühlingssonne so herrlich nach Frische, nach Leben, nach Energie. Und die setzte Klausmüller gerade in Riesenhüpfer um. Zwischendurch schickte er sein allerliebstes Esellächeln zu Klara hoch.
Die zwölfjährige Klara schielte zu Joey und war so froh, wieder hier zu sein, hier ihre Osterferien verbringen zu dürfen, auf dem Hof ihrer Großtante Agnes. Dabei hatte sie sich letzten Sommer erst noch geweigert, in den Ferien zu Tante Agnes zu fahren. Doch das war vor ihrem Urlaub gewesen. Dann hatte sie ja gemerkt, dass Tante Agnes Pferde besaß. Und wäre sie nicht hierhergekommen, wäre Klausmüller nie durch diese Ritterrüstung gerutscht und er wäre weiterhin ein normales Kuscheltier. Das konnte Klara sich nun überhaupt nicht mehr vorstellen, obwohl Klausmüller oft genug so tun musste, als sei er ein Stofftier, nichts weiter als ein Stofftier, denn Klara hatte beschlossen, dass niemand außer ihr und Joey Klausmüllers Geheimnis kennenlernen sollte.
Joey …, ja, den hatten sie auch hier kennengelernt, letzten Sommer, auf dem Hof von Tante Agnes. Joey war dreizehn und er kümmerte sich um die Pferde auf Tante Agnes’ Hof. Er war zunächst nicht so gesprächig gewesen, letztes Jahr, als Klara ihn zum ersten Mal traf, denn er traute nicht jedem und wartete erst einmal ab. Doch da Klara wie er die Pferde liebte und zudem seine Reitkünste bewunderte, hatte er ihr bald ein Lächeln und einen strahlenden Blick aus seinen einzigartig grünen Augen geschenkt. Und es hatte nicht lange gedauert, bis Joey gemerkt hatte, dass Klaras Stoffesel alles andere als ein normales Stofftier war.
Doch sonst wusste niemand von Klausmüllers Fähigkeiten. Und im Wald konnte Klausmüller sich richtig austoben, denn hier war es ziemlich menschenleer. Aber eben leider nur ‚ziemlich‘, denn einer war doch da. Ein Mensch, den weder Klara noch Joey bemerkten. Und auch Klausmüller sah ihn nicht. Und dieser eine Mensch bemerkte auch Klausmüller, Klara und Joey nicht – bis Klausmüller die Beine dieses Menschen mit einem Baum verwechselte und an diesen entlangstrich.
Da war es vorbei mit der Frühlingsidylle im Wald. Ein Spazierstock sauste durch die Frühlingsluft, traf Klausmüller und schleuderte ihn gegen Artistins Schulter. Artistin scheute und Domino spitzte die Ohren.
Im ersten Moment dachte Klara, dass Klausmüller mal wieder seine Sonnenbrille vor die Augen geschoben hätte. Die Brille hatte er letzten Sommer in einem Schuppen gefunden. Und so unwahrscheinlich es auch klang: Diese Brille besaß magische Kräfte. Wenn Klausmüller sie vor die Augen schob, konnte es passieren, dass er unkontrolliert durch die Luft sauste. Doch diesmal hatte er seine Sonnenbrille noch hinter den Ohren sitzen und er flog auch nicht hin und her wie ein Pingpong-Ball, sondern prallte nur einmal gegen Artistin und trudelte dann zu Boden. Dort versank er in einem Blätterhaufen. Aus diesem stöhnte es jetzt und zwei Eselohren kamen zum Vorschein. Dann wabbelte der Haufen hin und her und Klausmüller tauchte wieder auf.  
„Klausmüller!“, rief Klara, „Was machst du da?“
Doch dann schaute sie nach rechts, dahin, wohin auch die Pferde ihre Hälse bogen. Und sie entdeckte ihn, den Menschen. Er war eine Frau. Eine alte Frau. Eine sehr alte Frau.
Sie stand da, neben einem Baum, in der rechten Hand einen Stock, der auf Klara, Joey und die Pferde zielte. Die Beine standen so weit auseinander, dass der graue Rocksaum sich um die kurzen, knorpeligen Beine spannte. Man sah zwar, dass sie schon etliche Lebensjahre auf dem Buckel hatte, doch ihre drohende Haltung und ihr auf die Kinder gerichteter Spazierstock drückten eine gewisse Kampfbereitschaft aus. Klausmüller spürte die Prellung an seiner Schulter und wusste, dass die Oma durchaus bereit war, ihre Kampfbereitschaft in einen Kampfeinsatz umzuwandeln.
Klausmüller, Klara und Joey starrten auf die Kampfomi, die ebenso zurückstarrte. Das weiße Haar hing der Frau etwas wirr ins Gesicht und die Brille saß ziemlich schräg auf einer kleinen Kartoffelnase. Mit gerunzelter Stirn fixierte ihr Blick Klara und Joey. Klara bewegte sich als Erste wieder.
„Guten Tag“, sagte sie und nickte der alten Frau zu.
Daraufhin senkte diese ihren Stock, trat einen Schritt vor und sagte: „Oh wie schön, Kinder mit Pferden! Das sieht man auch selten.“
„Alte Frauen, die so tun, als ob sie alte Bäume wären und dann zuschlagen, sieht man noch seltener.“ Das war Klausmüller. Er pustete gerade ein letztes Laubblatt von seinem Fell.
Klara blieb die Spucke weg. Hatte Klausmüller sie noch alle? Er konnte doch nicht einfach fremde Leute anquatschen! Wo blieb da seine Ganz-normales-Stofftier-Tarnung? Klara warf Klausmüller einen strengen Blick zu, doch Klausmüller schaute nicht zu ihr. Er behielt die alte Frau im Blick, die jetzt auf ihn zukam. Klausmüller zog sich zurück – zwei Schritte. Klara wartete auf den Aufschrei der alten Dame – oder würde sie gleich wieder ihren Stock einsetzen, um das sprechende Stofftier aus ihrem Umkreis zu katapultieren?
Die Frau beugte sich mit ihrem eh schon ziemlich runden und schiefen Rücken noch tiefer runter, reckte ihr Kinn weit nach vorne zu Klausmüller und schob mit der stockfreien Hand ihre schief sitzende Brille zurecht. Klausmüller stand still. Nur sein Oberkörper schob sich nach hinten, seine Lippen zogen sich über die Zähne ins Maulinnere. Auweia.
„Es muss Ihr Fell gewesen sein, das mich erschreckt hat.“ Sie richtete sich etappenweise und mit ihren Händen auf den Stock gestützt wieder auf, so weit, wie ihre schiefen Knochen das zuließen. „Sie sind an meinen Beinen herumgestrichen, als ich gerade ein wenig geschlafen habe.“
„Sie schlafen im Stehen?“ Joey zog die Augenbrauen zusammen. „Im Wald?“
Er hatte schon viele Märchen gehört, von seinem Vater zum Beispiel, wenn der mal wieder in die Werkhalle entschwand, in der ihr Kirmeskarussell stand – ein Kinderkarussell mit bunten Autos und vielen Knöpfen zum Hupen, Tuten und Sirenenabspielen. Joeys Vater bastelte dann angeblich an neuen Autos herum, um das Karussell attraktiver zu machen, doch Joey wusste, dass sein Vater das eigentlich schon längst aufgegeben hatte und sich dorthin nur noch zurückzog, um eine Flasche Alkohol aus der Werkzeugkiste zu holen und dann stundenlang dort rumzusitzen und nichts zu tun, außer die Flasche hin und wieder anzuheben. Dabei hatte Joey als kleiner Junge immer darauf gewartet, dass sein Papa eines Tages mit dem Superkarussell auftreten würde. Doch das Karussell blieb immer gleich, sein Vater hingegen stolperte abends durch die Wohnung, roch unangenehm und sprach so undeutlich, dass Joey seine Worte kaum verstand. Eines Tages hatte Joey ihn beobachtet. Stundenlang. Danach wusste er, dass er längst nicht alles glauben sollte, was man ihm so sagte.
Und genauso wenig glaubte er dieser alten Frau die Geschichte vom Mittagsschlaf im Wald.
„Ja“, untermauerte die alte Dame ihre Aussage nun, „für gewöhnlich natürlich nicht. Doch wenn man schon so lange wie ich unterwegs ist, dann kann es schon mal vorkommen, dass man sich ein wenig ausruhen möchte.“
„Wohin sind Sie denn unterwegs?“, fragte Klara.
„Na, nach Hause, mein Kind.“
Sie beugte abermals ihren Rücken tief hinab. Ihre beiden Hände stützen sich auf ihren Spazierstock, sodass sie aussah wie eine Hängebrücke, nur dass ihr Rücken nicht wirklich durchhing, sondern sich buckelig nach oben wölbte. Dann löste sie die rechte Hand von ihrem Stock und hielt sie Klausmüller entgegen.
„Greismann“, sagte sie, „Elfriede Greismann, sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Leider stinken Sie ein wenig.“
„Klausmüller, einfach Klausmüller“, sagte Klausmüller und legte seinen Huf in die runzelige und etwas starre alte Hand. „Ich stinke kein Stück und Sie sind etwas schief gebaut.“ Er ließ seinen Blick über Frau Greismanns Äußeres gleiten.
„Klausmüller“, sagte Klara. Doch Frau Greismann schien Klausmüllers Äußerung zu ihrer Schieflage nicht zu stören.
„Na, dann ist ja alles klar“, sagte sie und richtete sich wieder auf. Dazu stemmte sie sich mit der linken Hand auf ihren Stock und hielt ihre rechte Hand an ihre Hüfte. Zentimeter für Zentimeter schraubte sie sich in ihre aufrechte Ausgangsposition zurück. „Ihr habt einen stinkenden Esel und ich habe mich verlaufen. Wisst ihr zufällig, wie ich zu meiner Wohnung zurückkomme?“ Sie blickte jetzt Klara fest in die Augen. Ihre Brille hatte wieder eine Schieflage eingenommen, als wolle sie die Schrägstellung des Rückens nachahmen.
„Wo wohnen Sie denn?“, fragte Klara und dachte darüber nach, ob es wohl noch mehr sprechende Stofftiere gibt, da die alte Frau Klausmüller einfach so hinnahm, als wäre er nicht ungewöhnlich.
„In der Birkenallee 72“, sagte Frau Greismann und kratzte sich an der Stirn, „oder 71.“
„Wissen Sie was? Wir begleiten Sie“, sagte Klara, stieg von Domino herunter und nahm Dominos Zügel in die Hand. Schon stapfte sie neben Frau Greismann durch das alte Laub. Joey und Klausmüller schauten sich kurz an und marschierten dann hinterher.
Frau Greismann plauderte davon, dass sie eigentlich nur kurz aus dem Haus gegangen sei, weil ja vorher diese zwei Männer bei ihr gewesen wären. Die hätten bei ihr geklingelt und gefragt, ob sie ihr Badezimmer benutzen dürften. Der eine musste sich die Hände waschen, weil er Diabetes hatte und es Zeit war, sich in den Finger zu piksen, um die Blutwerte zu messen. Und davor mussten die Hände gewaschen werden. Frau Greismann hatte die beiden Männer hereingelassen. Sehr nette Männer übrigens. Und als sie wieder weggingen, hatte der mit dem Diabetes sein Messgerät vergessen. Und da hatte Frau Greismann sich Sorgen gemacht. Das Messgerät, das musste der doch haben, oder? Der arme Mann. Der konnte ja nun nicht mehr sein Blut fragen, ob es noch mit genügend Zucker vorsorgt war. Das ging doch nicht. Sie nahm das schwarze Gerät in ihre Hände und drehte es ein paar Mal unschlüssig hin und her. Und dann ging sie raus, den beiden Männern hinterher. Doch die waren zu schnell, die waren so rasch in eine Nebenstraße gehuscht und dann in einem Auto entschwunden, dass Frau Greismann nur noch mit ihrem Stock hinterherwinken konnte. Und selbst das hatten die Männer wohl nicht bemerkt. Und so stand Frau Greismann schließlich alleine da. Sie drehte sich um und ging nach Hause. Das war zumindest der Plan. Doch mit einem Mal kam ihr alles so unbekannt vor. Da musste sie sich wohl verlaufen haben.
„Und wo ist das Messgerät jetzt?“, fragte Joey.
Frau Greismann packte sich vor die Brust und drehte sich zu Joey um. „Nanu“, sagte sie, „das habe ich mir um den Hals gehängt. Das war in so ’ner Tasche. Komisch. Das muss ich wohl verloren haben.“


Frau Greismann zuckte mit den Schultern und stapfte weiter. Joey warf erst Klara und dann Klausmüller einen vielsagenden Blick zu. Wenigstens Klausmüller schien mit ihm übereinzustimmen. Die Alte hatte doch einen Tick. 

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2 Kommentare:

  1. Das ist wieder eine lustige Geschichte. Wir haben das Buch schon an Freundinnen ausgeliehen. es hat ihnen auch sehr gut gefallen.

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